Ein Hirschgeweih als Erntemesser

Manfred Traub mit der Rekonstruktion des Erntemessers. Bild: Main-Echo Manfred Traub mit der Rekonstruktion des Erntemessers Bild: Main-Echo

Main-Netz Online 06.10.2010 | Wolfgang Schwarzkopf
Ein Hirschgeweih als Erntemesser

Archäologie: Stockstädter Heimat- und Geschichtsverein lässt Steinzeit-Werkzeug nachfertigen – Original ist verbrannt

Nach dem Ende der Sommerpause können Geschichtsfreunde im Stockstädter Heimatmuseum ein archäologisches Zeugnis der reichen Vergangenheit der Industriegemeinde entdecken: Im Vorgeschichtsraum des Museums wird ab dieser Saison ein Erntemesser aus Hirschgeweih ausgestellt, dessen Vorbild aus der Jungsteinzeit (Neolithikum) stammt und von den Anfängen der hierzulande Landwirtschaft zeugt.

Das Original war eines der ältesten Werkzeuge am bayerischen Untermain. Man entdeckte es mit weiteren Steinbeilen verschiedener Kulturen bei Grabungen auf der Gersprenz-Insel in Stockstadt. Das Fundstück wurde in Aschaffenburg im Museum untergebracht und ist dort im Zweiten Weltkrieg verbrannt.
Nachbildung statt Fotografie
Der Heimat- und Geschichtsverein Stockstadt hat jetzt von der Drechslermeisterin Astrid Dingeldey aus Michelstadt im Odenwald eine originalgetreue Nachbildung des Erntemessers anfertigen lassen. Im Museum war bisher nur eine Fotografie zu sehen. Die Künstlerin bearbeitet hauptsächlich Tierknochen und fertigt Repliken von antiken Gegenstände und Schmuck aus der Römerzeit.
Für das Stockstädter Werkzeug nahm sie ein 34 Zentimeter langes Stück aus einem Zwölfender-Hirschgeweih, fräste eine Längsrille ein und lieferte die Hornsteinmesser. Mitglieder des Vereins setzten in dieses Horn fünf Mikrolithen – messerscharfe Hornsteinabschläge – ein, die sie mit erhitztem Birkenpech befestigten.
Feuerstein-Ernte
Die Form ist charakteristisch: ein kurzer Schaft mit einer seitlichen Klinge. Die Menschen der Steinzeit benutzten ursprünglich zur Ernte vermutlich ungeschaftete Feuersteinklingen oder -messer, mit denen die Getreidehalme knapp über dem Boden abgeschnitten wurden.
Bereits vor dem Beginn der Jungsteinzeit benutzten die Menschen spezielle Erntemesser mit geraden Holz- oder Knochenstücken, in deren Längsseite eine große oder mehrere kleinere Feuersteinklingen eingesetzt waren. Mit diesen Geräten konnten auch Schilf und Grünfutter abgeschnitten werden.
Birkenpech aus der Rinde
Das von Astrid Dingeldey für die Nachbildung des Steinzeitmessers unter anderem verwendete Birkenpech wurde einst auch in Stockstadt hergestellt. Im Oberhübnerwald führt ein alter Waldweg vom Gänsloch in vielen Windungen in Richtung Großostheim. Dieser Weg trägt den Namen Pechofenweg.
Das deutet darauf hin, dass die Vorfahren Pech aus Birkenrinde gewonnen haben. In der Birkenrinde nämlich ist eine dünne, schwarze Schicht eingelagert, die durch große Hitze unter Abschluss der Luftzufuhr in einem speziellen Ofen ausgelöst wurde.
Diese schwarze, zähe Masse verarbeiteten die Menschen zu verschiedenen Zwecken – zum Beispiel als Klebe- und Befestigungsmittel von Pfeil-, Messer- und Speerspitzen. Auch in der Heilkunde wurden die Extrakte eingesetzt.

You May Also Like